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Eine Terrorkarriere im O-Ton

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Vom kriminellen Jugendlichen zum weltweit gesuchten Terrorverdächtigen: Originalzitate zeigen, wie Emrah Erdogan tickt – und zeichnen seinen Weg nach, der einst in Wuppertal begann und vorläufig in Karlsruhe endet.

Zwei Jahre nach seinem Abtauchen und acht Tage nach seiner Festnahme am Flughafen von Dar es Salaam (Tansania), wurde gestern in Karlsruhe dem deutschen Terrorverdächtigen der Haftbefehl eröffnet. Die Vorwürfe gegen Emrah Erdogan (24) aus Wuppertal: Mitgliedschaft bei Al-Qaida, Waffenausbildung in Terrorcamps, Rekrutierung von Terrornachwuchs, Geldbeschaffung für Waffen und Selbstmordanschläge.

Erdogan erlebte 2010 in Waziristan den Drohnentod seines Bruders mit. Seine Anschlagswarnungen aus Pakistan sorgten in Deutschland für Terrorangst. Seine Entwicklung vom kleinkriminellen Teenager zum Al-Qaida-Fanatiker, vom stern mehrfach beleuchtet, lässt sich anhand von O-Tönen aus einem autobiografischen Pamphlet sowie aus abgehörten Telefonaten nachzeichnen:

2004 schickt Vater Erdogan seinen kriminellen Sohn zur Disziplinierung aus Wuppertal nach Pakistan. Emrah Erdogan schreibt später über diese Zeit:

Ich interessierte mich für Schlägereien, Disco, Drogen, Frauen. Ich versuchte, so viel Geld wie möglich und hübsche Frauen an meiner Seite zu haben. Mein Vater wollte, dass ich von der schiefen Bahn weg komme. Deshalb schickte er mich nach Pakistan auf eine Koranschule. Ich mochte die Brüder dort alle, sie waren sehr nett. Drei Monate vergingen dort, und ich musste, von Heimweh geplagt, wieder nach Hause fahren.“

Anfang 2005 kehrt Emrah Erdogan nach Deutschland zurück.

Ich kam in Deutschland an, aber nach 3 Monaten war ich wieder der Alte: Alkohol, Kiffen, Frauen, Disco, das Geld musste irgendwoher kommen, ich ging nicht zur Schule und hatte keine Arbeit. Irgendwann war es zuviel für meinen Vater und er schmiss mich raus. Einen Monat lang war ich auf der Straße, dort beging ich wieder schlechte Taten, weil ich gar kein Geld mehr hatte. Die Anzeigen stapelten sich, und ich dachte mir: "Ey, was ist mit Allah?“

2006 kommt Emrah Erdogan zum wiederholten Male ins Gefängnis.

Ich wurde nach Siegburg verlegt, kam in die Abteilung 4 B und hatte dort eine Zelle im vierten Stock, Nr.347, grüne Farbe, etwa 7 qm klein. Dort kam meine Familie zu Besuch, und wir verstanden uns durch den Islam viel besser als je zuvor. Ich umarmte erstmal meinen Vater und küsste ihn. Ich gab Allah ein Versprechen, dass ich jetzt ein aufrichtiger Diener sein will. Ich betete viel und stand nachts auf, las viele Bücher und dachte an einen Gelehrten, der auch im Gefängnis gewesen war und sagte: "Ich lebte unter dem Schatten des Koran." Das war mein Motto.“

Im Herbst 2010 ruft Emrah Erdogan aus Pakistan, wo er in Terrorkreisen verkehrt, seine Familie an. Er berichtet, was er mit seinem jüngeren Bruder Bünyamin im Grenzgebiet zu Afghanistan  erlebte.

Wir waren zusammen unterwegs. Wir wollten auf die Berge gehen zusammen alle, wir wollten umziehen von hier. Hier sind viele Deutsche, aber ich war jeden Tag (mit Bünyamin zusammen).  Wir haben alles zusammen gemacht. Wir waren zusammen schießen."

Am 5.Oktober 2010 erzählt Emrah Erdogan am Telefon, wie sein Bruder am Vorabend bei einem amerikanischen Drohnenangriff starb. Die Angreifer hält er fälschlicherweise für Deutsche.

Gestern Abend haben die Deutschen auf uns geschossen, die Deutschen haben von Luft angegriffen. Wir waren alle draußen vor der Tür, wir haben gegessen, dann bin ich und zwei Brüder in einen Raum gegangen. BÜNYAMIN und ABU ASKAR waren (draußen) zusammen und drei Paschtu-Brüder. Als ich in den Raum gegangen bin - Bammm! Kommt diese Bombe. Wir haben gewartet, subhanallah, wir dachten, jetzt kommt noch eines auf uns. Und wir haben alle Schada gemacht (das Glaubensbekenntnis gesprochen) und wir haben uns auf Boden gelegt, wir haben das Bittgebet gesprochen, so so so. Wir haben geguckt, kam nichts. Alles voll Staub, ganze Wände, alles kaputt.“

Nach dem Angriff habe er die Leiche des Bruders gefunden:

Bin ich gegangen, habe ich geguckt BÜNYAMIN. Habe ich so gesehen, er war unter Erde drin. Habe ich den rausgeholt, habe ich gesagt: BÜNYAMIN, BÜNYAMIN, BÜNYAMIN! Habe ich mit dem geredet. Der hat nicht geantwortet. Dann habe ich so sein T-Shirt hoch gemacht, habe ich gesehen, sein hinterer Kopf, alles zerfetzt, sein ganzes Gehirn war draußen. Habe gesagt: BÜNO, BÜNO, BÜNO! Dann habe ich gesehen: BÜNO ist Schahid geworden."

Über die Bestattung des Bruders und eines getöteten iranischen Kampfgefährten aus Hamburg berichtet Erdogan seiner Familie:

Wir haben die beide in ein Loch getan, nebeneinander. Wir haben extra die Grab von den beiden schön breit gemacht, damit die schön viel Platz haben. Da ich bin reingegangen, hamdullah, ich habe schön geküsst und gestreichelt und noch ein bisschen Zeit mit denen verbracht, hamdullah, haben wir die begraben."

Die Utensilien des begrabenen Bruders hat Emrah Erdogan sichergestellt:

Ich habe gestern seine Sachen angeguckt, Akhi, wallah. Ich musste immer weinen, wenn ich guck. Ich habe gestern seine Tasche aufgemacht, da waren 2 Boxershorts, zwei Socken hatte der. Eine Kalaschnikow hab ich von ihm, vier Magazine, eine Magazintasche. Er hatte nur 6 Euro, Akhi. Der Ausweis, durchlöchert und verbrannt."

Anfang 2011 prahlt Emrah Erdogan in einer Email aus Pakistan:

Bin mit 20 oder 30 Kämpfern in den Krieg gegangen. Die Mudschaheddin sind standhaft und sie fürchten nichts und niemanden. Wir besitzen eine Kalaschnikow gegen die Hightech-Waffen der Ungläubigen. Wir schlagen heute die Amerikaner und die Welt!"

Anfang 2012 ruft Emrah Edogan, auf Anweisung eines Qaida-Führers seit Monaten in Somalia, im Internet zum Jihad auf:

Ich lese und verfolge die Nachrichten aus Deutschland. Beteiligt euch am Dschihad und vergesst euren Bruder nicht! Macht Bittgebete, dass ich wieder gesund werde. Habe mich ein wenig verletzt.“

Am 10. Juni 2012 geht Emrah Erdogan unter dem Aliasnamen „Abdulrahman Othman“ an Bord eines Flugzeuges von Nairobi nach Dar es Salaam. Nach ihm wird international gefahndet. An diesem Tag sind in Tansania nach einem Hinweis deutscher Behörden sämtliche Grenzkontrollpunkte alarmiert, natürlich auch der Julius Nyerere International Airport in der Hauptstadt. Dort ergreift die Polizei Mister Othman – und identifiziert ihn bei einer Vernehmung als Emrah Erdogan.

von Uli Rauss

Foto: dpa


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